Klössinger

Heinrich Klössinger, Bahnvorsteher und erster Augenzeuge

Der damalige Bahnhofsvorsteher Heinrich Klössinger von Nammering hat  als unmittelbarer Zeitzeuge seine Beobachtungen aufgeschrieben am 23.12.1945

Ermordung von Konzentrationshäftlingen

beim Bahnhof Nammering
Bericht des Bahnbediensteten Heinrich Klössinger

Am 19. April 1945 nachmittags kam ein Zug in drei Teilen aus Richtung Deggendorf nach Bahnhof Nammering. Bei Abfahrt des Zuges vom Bahnhof Eging wurde mir von dem dortigen Fahrdienstleiter erklärt, dass es sich bei diesem Transport um Konzentrationshäftlinge aus dem Lager Buchenwald handelt.
Als sich der Zug auf der Strecke Nammering befand, hörte man mehrere Schüsse fallen. Beim Einrollen des ersten Zugteils, bestehend aus 15 Waggons, hörte ich Hilferufe und Jammern in den Waggons, wusste jedoch nicht, was eigentlich los sei. Dieser Zug wurde hier hinterstellt und dann zwei weitere Teile angefahren, so dass insgesamt 54 Waggons beim Bahnhof Nammering abgestellt wurden. Beim letzten Zugteil befand sich der Transportführer SS-Obersturmführer, der sich unter dem Namen Merbach, wohnhaft in Gotha-Thüringen, bei mir vorstellte. Merbach rief dann seine Wachmannschaft zusammen, die ungefähr aus 20 Mann bestand und erklärte, dass dieser Transport längere Zeit hier bleibe. Es sei strengste Bewachung erforderlich und rücksichtslos mit den Häftlingen umzugehen. Abends gegen 10 Uhr kam Obersturmführer Merbach ins Büro und erklärte, dass hier ein Transport von 4500 Häftlingen aus dem Lager Buchenwald sei, und dass er damit nach Dachau bei München weiter sollte.
 

Das war aber vorerst nicht möglich, weil ein vorausgefahrener Wehrmachtstransport zwischen Tittling und Kalteneck die Böschung hinuntergestürzt war. Merbach erklärte, dass er mit dem Transport schon 14 Tage unterwegs sei; er habe aber bloß für drei Tage Verpflegung gefasst, weil gerechnet worden war, dass er auf normalem Wege nach Dachau komme. Wie Merbach sagte, starben täglich Leute am Hungertod und er habe schon 250 Tote in einem Waggon mitgebracht. Ich verwies Merbach an den Ortsbauernführer in Renholding, damit er auch Kartoffeln für die wehrlosen Menschen bekomme.
Diese wurden auch angefahren, gekocht und an die Häftlinge verteilt. Das beobachtete ich selbst und dabei zeigte sich mir ein schreckliches Bild. Die Häftlinge krochen vor Schwäche zur Wagentüre, um die Kartoffeln zu bekommen. Von den SS-Posten wurden sie mit Stöcken auf den Kopf geprügelt. Leichen wurden aus den Waggons geworfen, die ohne Bekleidung waren. Andere Häftlinge mussten sie sofort in den mitgeführten Leichenwagen werfen. Dauerndes Schießen war bei Tag zu hören und Hilferufe, Geschrei und Jammer hallte durch die dunkle Nacht.
Auf Anordnung des Obersturmführers Merbach wurde in einem nahe gelegenen Steinbruch eine Verbrennungsstätte errichtet und ungefähr 250 Leichen verbrannt, Häftlinge mussten Holz mit einem Wagen zu dieser Stelle ziehen. Bei dieser Arbeit wurden sie geschlagen und mit Gewehrkolben gestoßen. Ich konnte dabei selbst beobachten, wie zwei Häftlinge, die die Toten aus dem Waggon holten, aber nicht schnell genug arbeiteten, sofort erschossen wurden; zwei andere kamen an ihre Stelle. Der hiesigen Bevölkerung wurde das Sterben der hungernden Menschen bekannt und auf Aufforderung eines Geistlichen wurde eine Sammlung von Lebensmitteln veranstaltet. Große Mengen wurden aus allen Richtungen herangebracht und durch die SS an die Häftlinge verteilt. So konnte das Hungersterben etwas gelindert werden. Jedoch die Erschießungen gingen immer weiter.
Ich selbst beobachtete folgende Vorfälle: Zwei Gefangene, begleitet von zwei Posten,   trugen mit einem großen Bottich Wasser. Um sich die Arbeit zu erleichtern, versuchten   sie, einen Stock durch die Ösen des Bottichs zu stecken; dabei wurden sie bemerkt und   sofort von einem Posten durch Genickschuss getötet. Dieser Mörder dürfte, der Aussprache nach, ein Berliner gewesen sein, seinen Namen konnte ich nicht erfahren. Beim Versuch, einige Namen von den Posten zu erfahren, wurde mir mit den Waffen gedroht und   für den Wiederholungsfall Erschießen angedroht.

Ein weiterer Fall:

Ein Häftling verlangte Austreten aus dem Wagen und wurde bei dieser Gelegenheit von   einem Posten erschossen, ohne dass irgendein Anlass vorgelegen wäre. Am 19. April  wurde bei Nacht ein ganzer Waggon von 45 Häftlingen erschossen. Am nächsten Morgen  floss das Blut noch durch den Boden des Waggons. Die Leichen wurden am nächsten Tage  6 Uhr früh aus dem Waggon geworfen; die nur Verwundeten mit Genickschuss getötet  oder mit dem Gewehrkolben erschlagen. Tag und Nacht ging das Morden weiter  Geschrei und Gejammer war bei Tag und Nacht zu hören. Merbach sah diesen Mordtaten  zu, ohne besondere Anordnungen zu geben.  Die Zahl der Toten belief sich schließlich auf ungefähr 800 Mann, worauf Obersturmführer Merbach die Beerdigung anordnete. Es wurde ein Kommando von 25 Mann auf- gestellt, um in einer abgelegenen Schlucht ein Grab zu schaufeln. Von dort konnte man  dauernd Schüsse hören und es ist anzunehmen, dass jeder Schuss einen Toten gab.

Zwei  Waggons von Toten wurden von Häftlingen in die Nähe des Grabes geschoben und die  Leichen dann über eine 20 Meter hohe Böschung geworfen. Merbach sah dem grausamen  Tun immer zu. So vergingen fünf bis sechs Tage.  Am 23. April und 24. April wurde der Rest der Häftlinge in zwei Teilen mit dem Zug nach  Pocking abgefahren, von wo er nach Dachau weitergehen sollte. Ich gebe noch eine  Beschreibung von zwei Leuten, soweit sie mir bekannt geworden sind: Obersturmführer  Merbach: 1,85 m groß, blondes zurückgelegtes Haar, graue Augen, weiße Zähne; besondere Kennzeichen konnte ich nicht bemerken, ein Berliner SS-Scharführer: 1,65 m groß  dunkelblondes rechts gescheiteltes Haar, weiße Zähne, langes Gesicht, blaue Augen und  ungefähr 30 Jahre alt. Dieser war der roheste unter allen und hat die meisten Misshandlungen gemacht.

Ich versichere, dass meine Angaben der Wahrheit entsprechen.

                                            Heinrich Klössinger