Begrüßungsrede von Stephan Gawlik, Bürgermeister von Fürstenstein
Als derzeitiger Bürgermeister der Gemeinde Fürstenstein, zu der auch der Ort Nammering gehört, hat Stephan Gawlik zur Gedenkfeier auch überregional eingeladen. Die Gemeinde Fürstenstein fördert stets das Engagement um die Pflege dieser geschichtsträchtigen Gedenkstätte und trägt auch die jeweils anfallenden Kosten.
GEMEINDE FÜRSTENSTEIN - Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages der Ermordung von 794 KZ-Häftlingen, am Sonntag, 24. April 2005. um 14.00 Uhr am ehemaligen Bahngelände in Nammering
Hochwürdige Geistlichkeit, geschätzte Ehrengäste, meine sehr geehrten Damen und Herren,
"Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“
Mit diesem Zitat von Fritz Bauer, der als hessischer Generalstaatsanwalt den Auschwitz-Prozess vorbereitete, möchte ich Sie namens der Gemeinde Fürstenstein zur Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages der Ermordung von 794 Häftlingen des KZ-Transportzuges von Buchenwald nach Dachau hier auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände in Nammering begrüßen.
Mein ganz besonderer Gruß gilt:
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Als Vertreter der katholischen Kirche den Hochwürdigen Herren, Pfarrer August Lindmeier, Pfarrer Ludwig Edmaier und Pfarrer Eberhard EibI.
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Als Vertreter der evangelischen Kirche Herrn Pfarrer Thomas Plesch, Herrn Staatssekretär Franz Meyer als offiziellen Vertreter der Bayerischen Staatsregierung,
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Herrn Landrat Hanns Dorfner,
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Der Abgeordneten des Deutschen Bundestages Frau Gerlinde Kaupa, Den Abgeordneten des Bayerischen Landtages Herrn Konrad Kobler, Herrn Gerhard Waschler, Herrn Jürgen Dupper und Herrn Eike Hallitzky,
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Sowie meinen Bürgermeisterkollegen Theo Schuster aus Aicha vorm Wald, Altbürgermeister Josef Wax, sowie 2. Bürgermeister Frank Kubitschek und den Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats.
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Ein weiterer Gruß natürlich auch den Vertreterinnen und Vertretern der Medien und herzlichen Dank für die Berichterstattung.
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Nicht zuletzt ein ganz inniger und herzlicher Gruß Herrn Dr. Jerzy Fajer aus Oberaudorf. Herr Dr. Fajer ist Überlebender des Todeszuges aus Buchenwald und einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen. Er wird im Anschluss auch ein paar Worte zu uns sprechen.
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Des Weiteren grüße ich Frau Ilse Pregler aus Bad Aibling in Vertretung des 84jährigen französischen Franziskanerpaters und Schriftstellers Eloi Leclere aus der Bretagne, der ebenfalls die Schrecken dieses Zuges überlebte. Frau Pregler wird im Anschluss ebenfalls ganz kurz zu uns sprechen und im Auftrag des Paters am Mahnmal ein Blumengebinde niederlegen.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn der Gedenkfeier einige Worte des Dankes aussprechen an:
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Herrn Hans Hübl und Herrn Nikolaus Saller von der "Arbeitsgemeinschaft KZ-Transport 1945" für die großartige Unterstützung und Mitarbeit bei der Vorbereitung der Gedenkfeier
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an die Freiwillige Feuerwehr Nammering für den Parkplatz- und Ordnungsdienst
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und an die Rot-Kreuz-Bereitschaft Tittling für den Sanitätsdienst
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und vor allem dem Bläser-Ensemble aus Schönberg mit Martin Schweighofer.
Wir haben uns heute hier am ehemaligen Bahnhofsgelände in Nammering versammelt, um dem schrecklichsten Kriegsverbrechen Niederbayerns zu gedenken. Eingepfercht in 54 Viehwaggons wurde für 4.500 Häftlinge der Transport vom Konzentrationslager Buchenwald zum Konzentrationslager Dachau zur Hölle auf Erden. Die Bombardierung des Bahnhofs in Plattling und ein entgleister Wehrmachtstransport in Tittling zwangen den Todeszug zu einem fünftägigen Aufenthalt auf dem Nammeringer Bahnhof.
Vor 60 Jahren spielten sich hier unbeschreibliche Szenen ab, die sich kaum in Worte fassen lassen. Rund 250 Häftlinge hatten die Höllenqualen des Zuges bis Nammering nicht überlebt und starben bereits während des Transports. Über 500 weitere Gefangene starben in Nammering den Hungertod, wurden von den SS-Schergen brutal zu Tode gefoltert, erschossen oder bei lebendigem Leibe verbrannt. Bei allem Entsetzen, bei aller Trauer und bei allem Zorn über das Geschehene, wollen wir aber nicht die Hilfsbereitschaft der damaligen Zivilbevölkerung vergessen, die den ausgehungerten Häftlingen mit Lebensmittelspenden wieder einen Funken Hoffnung in ihrer ausweglosen Situation gab.
In besonderer Weise möchte ich stellvertretend für Alle an den damaligen Pfarrer aus Aicha vorm Wald, Herrn Johann Bergmann erinnern, der unter Einsatz des eigenen Lebens eine Verbesserung der humanitären Bedingungen für die Häftlinge des Zuges erreichte und dadurch viele Menschenleben retten konnte. Für ihn gilt das Zitat aus dem Talmud: "Wer auch nur ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt."
Heute auf den Tag genau vor 60 Jahren rollte der Zug ohne die 794 hier verstorbenen und zurück gelassenen Leichen der Häftlinge weiter in das Konzentrationslager Dachau. Für viele, die das Schreckensereignis von Nammering überlebten, war die Weiterfahrt des Zuges dennoch eine Fahrt in den Tod, weil einfach die Kräfte fehlten, um überleben zu können.
Hinzu kam ein Bombenangriff des Zuges bei Pocking, der weitere Opfer forderte. Aber für 816 der 4.500 Häftlinge bedeutete die Weiterfahrt Gottlob das Ende der Leidenszeit, da die Rettung durch die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau unmittelbar bevorstand. So auch für den heute hier anwesenden Zeitzeugen Dr. Jerzy Fajer oder für den Franziskanerpater Eloi Leclere, der durch Frau Ilse Pregler vertreten wird. Heute, 60 Jahre später, erinnert bis auf das nahe gelegene Mahnmal kaum noch etwas an diese Menschen verachtenden Gräueltaten des nationalsozialistischen Unrechts-Regimes am ehemaligen Bahnhofsgelände in Nammering. Stumme Zeitzeugen sind die beiden noch verbliebenen Bahnschwellen aus Holz, über die einst der Todeszug rollte und auf denen hier vorne ein schlichtes Kreuz aus Birkenholz errichtet wurde, das an jenes Kreuz erinnern sollte, das der Nammeringer Ludwig Gartner einst für die ermordeten Häftlinge auf der Anhöhe der so genannten "Totenwiese" aufstellte, auf der die Opfer durch die SS verscharrt und kurz darauf auf Befehl der Alliierten exhumiert wurden.
"Nie werde ich vergessen." Unter diesem Motto steht die heutige Gedenkfeier. Damit wir nicht vergessen und vor den Schreckens-Ereignissen der letzten Kriegstage am ehemaligen Bahnhof in Nammering nicht die Augen verschließen, wollen wir sichtbare Wegmarken setzen. Denn wer "vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart", stellte der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker einmal fest. Deshalb wollen wir mit dem heutigen Tag den durch den Wald führenden Weg zum nahe gelegenen Gedenkstein "Pfarrer-Bergmann-Steig" benennen, um bleibend an dessen vorbildlichen Einsatz für die Häftlinge zu erinnern. Des Weiteren soll - wenn in wenigen Monaten hier der Radweg durch das ehemalige Bahnhofsgelände führt - mit Erinnerungstafeln auf die damaligen Geschehnisse hingewiesen werden.
Über die sichtbaren Wegmarken hinaus, ist es geradezu unsere moralische Verpflichtung, auch Wegmarken in unserem Denken, in unserem Tun und in unseren Herzen zu setzen. "Unsere Verantwortung ist es", wie Altbundespräsident Roman Herzog 1995 bei einer Gedenkfeier im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen sagte, "nie mehr zuzulassen, dass Mensch-Sein abhängig gemacht wird von Rasse oder Herkunft, von Überzeugung oder Glauben, von Gesundheit oder Leistungsfähigkeit." Jeder Mensch ist wertvoll, lautet die Schlussfolgerung, jeder hat ein Recht auf Leben und auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Darum dürfen wir nicht stehen bleiben bei der Frage: Wie konnte so etwas nur geschehen? Wie konnte so etwas nur zugelassen werden? Die wirklich wesentliche und mutige Frage ist, wieso wir heute Ungerechtigkeit, Rassenhass, Vorurteile und herzlose Gleichgültigkeit - wo immer sie vorkommen - hinnehmen und tolerieren können. "Nie wieder!" - richtig verstanden - verpflichtet uns nicht nur, der Vergangenheit zu gedenken, sondern vor allem dazu, uns für eine bessere Zukunft einzusetzen.
In einer jüdischen Erzählung fragt ein Rabbi seinen Schüler, wo denn der Übergang von der Nacht zum Tag zu finden sei. Der antwortet: "Wenn du ein Menschenantlitz siehst und du siehst darin das Antlitz deines Bruders, deiner Schwester, dann ist die Nacht vorüber und der Tag leuchtet auf."
Und da möchte ich noch hinzufügen: Nur wenn wir im Mitmenschen die Schwester und den Bruder sehen können, finden Menschen Geborgenheit, Zukunft und Heimat. Deshalb darf sich dieses dunkle Kapitel unserer Gemeindegeschichte, dessen wir heute gedenken, nicht nur in Trauer und Erinnerung erschöpfen, sondern es muss daraus auch ein Auftrag erwachsen: Ein Auftrag, dass von Nammering aus Zeichen der Versöhnung, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, der Toleranz und des Friedens ausgesandt werden. Nur wenn wir diese Aufgabe begreifen und wahrnehmen, war der Tod der 794 unschuldigen Menschen vor 60 Jahren nicht umsonst.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Stephan Gawlik, Bürgermeister von Fürstenstein